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16. September 2025

Pflege darf nicht arm machen!

In der MDR-Sendung Fakt ist! sprach Prof. Jörg Saatkamp über die steigenden Kosten im Pflegeheim. Im Interview ordnet er die Lage ein und zeigt Perspektiven für die Zukunft.

Pflege im Alter – für viele Menschen ist das ein sensibles und zunehmend drängendes Thema. Steigende Eigenanteile von 2.500 bis 3.000 Euro pro Monat bringen Pflegebedürftige und ihre Familien an die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit. 

In der MDR-Sendung Fakt ist! am 3. September 2025 diskutierte Prof. Dr. rer. pol. Jörg Saatkamp, Professor für Gesundheitsökonomik an der Fakultät Management- und Kulturwissenschaften der HSZG, gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten über die Frage: „Armutsfalle Pflegeheim – wer kann sich das noch leisten?“

Im folgenden Interview spricht Prof. Saatkamp über seine Beweggründe, sich an der Fernsehdiskussion zu beteiligen, ordnet die aktuelle Situation für Pflegebedürftige ein und zeigt auf, welche Alternativen und Lösungsansätze er für die Zukunft sieht – auch mit Blick auf seine Lehrtätigkeit im Studiengang Management im Gesundheitswesen.

Prof. Saatkamp, wie kam es zu dem TV-Auftritt? 

Der MDR hatte zuvor über unseren neuen Pflegestudiengang berichtet und meinen Kollegen Martin Knoll, der diesen Studiengang aufgebaut hat, zur Teilnahme an der Sendung angefragt. Weil es in der Sendung vorrangig um Pflegekosten ging – weniger um pflegerische Inhalte – hat er den Kontakt an mich weitergegeben. Fünf Minuten nachdem er mich gefragt hatte, ob ich Interesse hätte, rief der MDR bereits an.

Welche Ursachen sehen Sie für die drastisch steigenden Eigenanteile – trotz erhöhter Zuschüsse – und welche kurz- oder mittelfristigen Maßnahmen halten Sie für sinnvoll, um diese Entwicklung zu begrenzen?

Zunächst ist wichtig: Die Pflegeversicherung war nie als Vollversicherung gedacht, sondern als „Teilkaskoversicherung“. Die Zahlungen der Pflegekassen decken daher die Kosten eines Heimplatzes nicht vollständig.

Die Pflegeheimkosten setzen sich zusammen aus den Kosten der Pflege, den Kosten für Übernachtung und Verpflegung sowie den Kosten für das Heimgebäude (Investitionskosten genannt). Nehmen wir die Durchschnittswerte von Sachsen als Beispiel: Die Pflegekosten insgesamt betragen ca. 3.400 Euro, davon muss der Bewohner 1.858 Euro selbst tragen, diesen Betrag nennt man den Einrichtungseinheitlichen Eigenanteil an den Pflegekosten (EEE), den Rest (der in der Folie nicht dargestellt ist und ca. 1.500 Euro beträgt) übernimmt die Pflegekasse. Dieser EEE ist unabhängig vom Pflegegrad, d.h. jeder Bewohner zahlt den gleichen Eigenanteil an der Pflege, obwohl die Kosten unterschiedlich sind. Die höheren Kosten eines Pflegebedürftigen der Stufe 5 trägt die Pflegekasse. Wenn jemand z. B. mit Pflegegrad 2 ins Heim kommt, bezahlt die Pflegekasse 805 Euro pro Monat an das Heim, bei Pflegegrad 5 sind es 2.096 Euro. Diese Werte sind gesetzlich fixiert. Der Bewohner spürt das finanziell nicht, da er immer den EEE seines Heims bezahlt, egal welchen Pflegegrad er hat. Dazu kommen im Mittel 830 Euro für Unterkunft und Verpflegung sowie 448 Euro für Investitionen (Gebäudekosten), die der Bewohner zu 100 Prozent tragen muss. Das ergibt insgesamt einen theoretischen Eigenanteil von 3.136 Euro an den gesamten Kosten von ca. 5.000 Euro. 

Auf diesen theoretischen Eigenanteil wird – abhängig von der Aufenthaltsdauer – ein prozentualer Zuschuss auf den EEE gewährt. Das ist wie ein „Rabatt“, der im ersten Jahr in Sachsen 270 Euro im Mittel beträgt und bis auf 1.394 Euro im 4. Aufenthaltsjahr ansteigt. Wenn man das berücksichtigt, liegt der gesamte Eigenanteil (also EEE plus Unterkunft und Verpflegung plus Investitionskosten) bei 2.857 Euro pro Monat im 1. Jahr und sinkt auf 1.743 Euro ab dem 4. Jahr.

Die Pflegekosten bestehen im Wesentlichen aus den Gehältern der Pflegekräfte. Dieser Kostenblock hat sich in den letzten 5 Jahren mehr als verdoppelt. Das war politisch auch so gewollt. Man hat per Gesetz die Heime dazu verpflichtet, nach Tarif zu bezahlen. Außerdem gibt es für jedes Heim Vorgaben zum Betreuungsschlüssel (Anzahl Bewohner pro Pflegekraft), die nicht überschritten werden dürfen, ansonsten drohen Sanktionen, weil die Qualität der Pflege gefährdet ist. 

Die Kosten für Verpflegung und Unterkunft sind um ca. 30 Prozent in den letzten 5 Jahren gestiegen. Grund dafür sind vor allem die allgemeine Inflation und die gestiegenen Kosten für Strom und Energie. Der Posten Investitionskosten ist nur um ca. 10 Prozent in 5 Jahren gestiegen. 

Das Fazit daraus lautet: Die Kostensteigerung im Bereich Pflegeheime spiegelt die gesteigerte Wertschätzung der Gesellschaft für Pflegekräfte und die allgemeine Teuerungsrate in Deutschland wider. Eine Begrenzung der Kosten - bzw. Preise müsste man korrekterweise sagen - per Gesetz ist nicht sinnvoll, denn dann würden manche Betreiber eines Pflegheims ihren Betrieb einstellen. Das wäre so, als würde man Ferrero dazu zwingen, Kinderschokolade nur noch für max. 80 Cent pro Tafel zu verkaufen. Der einzige Weg die Preise für Pflegeheimbewohnende zu „begrenzen“ ist ein funktionierender Markt. Den haben wir zur Zeit in Deutschland in abgeschwächter Form, denn die Preise ergeben sich nicht am Markt, sondern durch „Verträge mit Einigungszwang“ mit den Pflegekassen. Zudem beeinflusst die begrenzte Verfügbarkeit von Pflegekräften derzeit vielleicht am stärksten auch das Angebot von Pflegeheimplätzen. Aber es gibt durchaus einen Preiswettbewerb über den Eigenanteil.

Wie bewerten Sie die aktuelle finanzielle Belastung für Pflegebedürftige – insbesondere die Eigenanteile von 2.500 bis 3.000 Euro pro Monat – im Hinblick auf die reale Rentensituation?

Die durchschnittliche gesetzliche Rente in Deutschland liegt heute bei ca. 1.100 Euro pro Monat. Diese reicht bei weitem nicht aus, um einen Pflegeheimanteil von 2.500 bis 3.000 Euro zu tragen. Das Gesamtbild ist allerdings komplexer als dieser Zahlenvergleich. Nicht jeder Rentner bekommt eine gesetzliche Rente, zahlreiche Rentner haben eine zusätzliche Betriebsrente, Riesterrente, haben Zinseinkünfte oder beziehen Einkünfte aus Vermietung. Zusammenfassend muss man also das Nettoeinkommen der Rentner betrachten, in dem alle Einkunftsarten zusammengefasst sind. Der Alterssicherungsbericht 2024 liefert dazu beispielsweise folgende Daten: Die Mehrheit der Rentner-Haushalte (also Paare) haben ein Nettoeinkommen von über 3.000 Euro pro Monat und ca. 10 Prozent der alleinstehenden Rentner und Rentnerinnen haben ein solches Nettoeinkommen. In dieser Gruppe gibt es also durchaus Pflegebedürftige, die sich einen Eigenanteil von 2.500 bis 3.000 Euro pro Monat leisten können, ohne dabei auf ihr Vermögen zurückgreifen zu müssen. Bezieht man das Vermögen zusätzlich in die Betrachtung mit ein – und das entspricht dem Sozialstaatsprinzip, dass der Staat erst dann unterstützt, wenn die eigene Einkommens- und Vermögenssituation nicht ausreicht– sieht das Bild noch differenzierter aus, insbesondere für Westdeutschland. 

Fazit: Viele Rentner sind mit einem monatlichen Eigenanteil von 2.500 – 3.000 Euro überfordert und müssen auf staatliche Unterstützung zurückgreifen. Deswegen ist die Diskussion entstanden, den Eigenanteil an den Pflegekosten (EEE) z. B. auf 1.000 Euro zu deckeln oder die Investitionskosten durch den Staat zu finanzieren. Beide Maßnahmen erfordern erhebliche zusätzliche Mittel in Milliardenhöhe aus der Pflegeversicherung oder aus Steuermitteln. Beides halte ich derzeit ökonomisch und politisch für nicht realistisch. Aber es gibt auch einen nicht unerheblichen Anteil Rentner, der aus seinem Nettoeinkommen bzw. seinem Vermögen den aktuellen Eigenanteil bewältigen kann. Diese „wohlhabenderen“ Rentner benötigen keine staatlich subventionierte Deckelung oder Subvention. 

Mein Konzept sieht vor, den Leistungszuschuss abhängig vom Einkommens-/Vermögensstatus zu gewähren. Für arme Rentner würde das eine Deckelung des Eigenanteils an der Pflege (EEE) ab dem 1. Jahr auf z. B. 1.000 Euro bedeuten, evtl. auch eine Entlastung bei den Investitionskosten, wohlhabendere Rentner würden keine Zuschüsse erhalten, auch nicht bei längerer Aufenthaltsdauer im Heim. Der Zuschuss wäre bedürfnisbezogen und nicht mehr für jeden Pflegebedürftigen gleich. Das würde den Charakter der Pflegeversicherung zweifellos ändern, aber die überlasteten Sozialsysteme nicht weiter belasten und für einen gewissen sozialen Ausgleich sorgen.

Können Sie Beispiele oder Ansätze nennen, wie ältere Menschen kostengünstige Alternativen zur stationären Pflege realisieren können – etwa durch ambulante Modelle, Wohngemeinschaften oder neue Pflegekonzepte?

Es gibt auf dem „Markt“ für stationäre Pflegeleistungen inzwischen einen bunten Strauß an Alternativen, wie z. B. Pflege-Wohngemeinschaften, betreutes Wohnen oder eine 24-Stunden-Betreuung. Diese sind in der Logik der Pflegeversicherung „ambulante Pflegeversorgungen“, weil es sich nicht um klassische Pflegeheime handelt. Klingt erstmal merkwürdig, denn beim betreuten Wohnen zieht man ja in der Regel in ein organisiertes Wohnumfeld. Ohne an dieser Stelle in die rechtlichen und ökonomischen Details einzusteigen, kann man sagen, diese Konzepte sind weniger reguliert als ein Heim und daher flexibler und teilweise kostengünstiger für die Bewohnenden. Zudem kann man die benötigten Leistungen individuell dazu buchen – allerdings führt das dann wieder unter Umständen zu hohen Kosten, die denen eines Pflegeheims entsprechen können. Interessant ist auch das Konzept der 24-Stunden-Betreuung zu Hause. Das basiert i. d. R. darauf, dass eine Betreuungsperson, die z. B. aus Polen kommt und dort zu polnischen Bedingungen angestellt ist, bei dem zu Betreuenden zu Hause wohnt und ihn mehr oder weniger 24 Stunden am Tag betreut. Dazu ist es natürlich erforderlich, dass diese Betreuungsperson in dem Haus mit wohnt. Für diejenigen, die eine solche Möglichkeit haben, eine interessante Option. Die Kosten liegen bei ca. 3.000 Euro pro Monat.

Wie bringen Sie als Professor für Gesundheitsökonomik Ihre Erfahrungen und Sichtweisen in Ihre Lehre im Studiengang Management im Gesundheitswesen ein?

Meine Professur basiert auf langjähriger Praxis in zentralen Bereichen des Gesundheitswesens (Krankenkassen, Kliniken, ambulante Versorgung, Pharma- und Medizintechnikindustrie). Dieses Wissen und meine Praxiserfahrung versuche ich in die Lehre an der HSZG einzubringen. Der Fokus meiner Lehre liegt daher darin, die komplexen ökonomischen Regelungen und Bedingungen im Gesundheitswesen, den Studierenden zu vermitteln. Dazu benutze ich seit vielen Jahren ein Computersimulations-Programm, wo Studierende als Gruppen die Leitung eines Pflegeheims übernehmen müssen. Hierbei müssen sie Entscheidungen über die Einstellung von Mitarbeitenden, Lohnzusatzleistungen, Fortbildung, Essensqualität, Versorgungsqualität und Eigenanteilskosten treffen. Die Gruppen stehen dabei im Wettbewerb innerhalb einer virtuellen Stadt und haben das Ziel wirtschaftlich erfolgreich das Heim zu führen. Das ist realitätsnah, denn Qualität in der Pflege und Mitarbeiterzufriedenheit spielen neben einem effizienten Ressourceneinsatz eine wichtige Rolle, um ein Heim erfolgreich zu führen. Das bringt Inhalte verschiedener Veranstaltungen zusammen und macht viel Spaß.

Mehr Infos zum Thema

Wer sich die TV-Sendung Fakt ist! noch einmal zum Thema “Armutsfalle Pflegeheim. Wer kann sich das noch leisten?” ansehen möchte, findet den Beitrag in der ARD-Mediathek

Die finanzielle Belastung von Pflegebedürftigen im Pflegeheim: Hier geht es zu Zahlen - Daten - Fakten.

Foto: Prof. Dr. rer. pol. Jörg Saatkamp
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