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06. Januar 2021

Projektdokumentation "Religionssensible Integrationskultur in Ostsachsen"

Zum Abschluss des TRAWOS-Projektes "Religionssensible Integrationskultur in Ostsachsen - Erkundung, Erprobung, Gestaltung " im Dezember 2020 steht die Projektdokumentation nun zur Verfügung.

Unser Projekt "Religionssensible Integrationskultur in Ostsachsen - Erkundung, Erprobung, Gestaltung", das in der Zeit zwischen 1.7.2018 und 31.12.2020 realisiert wurde, verdankt seine Anregung einerseits den Migrationsprozessen der Jahre 2014-2016, die - anders als zuvor - auch den ländlichen Raum Deutschlands ernsthaft berührten und zu politischen Konflikten über Zuwanderung und Integration führten. Für Fremdheitswahrnehmungen und Ablehnung der Migration war auch die Zugehörigkeit einer deutlichen Mehrheit der Geflüchteten zu islamischen Religionsgemeinschaften wesentlich. Andererseits ist für die Region Oberlausitz und namentlich das Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien der Zusammenhang von Migration, Religion und Integration keineswegs neu. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die lange Geschichte ausgedehnter Wanderungsbewegungen und so genannter Religionskriege in unserem sozialgeographischen Raum, die bis tief in das Mittelalter zurückreichen. Sie zielt im vorliegenden Kontext vor allem auf die EU-Binnenmigration seit dem Beitritt der ostmitteleuropäischen Staaten im Jahr 2004. Seitdem haben sich tausende polnische und tschechische, aber auch bulgarische oder rumänische EU-Bürger*innen in den sächsischen Grenzstädten und Grenzregionen niedergelassen oder pendeln zwischen z.B. Polen und Arbeitsstätten im Görlitzer Landkreis. Allein in der Stadt Görlitz leben heute über 4.000 polnische Mitbürger*innen. Auch wenn hier religiöse Zugehörigkeiten und Praktiken weniger öffentlich wahrgenommen und weniger konfliktuös die sozialen (Des-) Integrationsprozesse begleiten und durchdringen - sie spielen für viele Migrant*innen auch aus Ostmittel- und Südosteuropa eine essenzielle Rolle. Einige Projektmitarbeiter*innen und mit dem Projekt Verbundene erfuhren das selbst schon vor vielen Jahren.         
Dabei reicht die Spanne von Problemen im Beziehungsgeflecht Migration - Religion - Integration von der verbreiteten Religionslosigkeit in Ostdeutschland mit ihren Folgen des Unwissens und des Unvertrautseins mit religiösen Lebensorientierungen und Praktiken bei Einwander*innen über die Chancen einer schnelleren und multikulturellen Integration von Migrant*innen und Einheimischen in und durch Glaubensgemeinschaften oder interreligiösen Dialog bis zu politischen Radikalisierungsrisiken von Migrant*innen infolge einer Abkapselung religiöser Gemeinschaften gegenüber der Aufnahmegesellschaft bzw. umgekehrt: durch Ausgrenzungspraktiken, die die Zuwander*innen auch aufgrund ihrer Religiosität erleben.  

Da auch der Landkreis Görlitz und zivilgesellschaftlich Engagierte in den Städten und Gemeinden die Relevanz von Religion in und für gelingende oder misslingende soziale Integration in der Region erkannten, beantragten wir zusammen mit diesen Partner*innen ein Praxisprojekt in der Förderrichtlinie "Integrative Maßnahmen", dessen Früchte im Folgenden vorgestellt, dokumentiert und reflektiert werden. Zu danken haben wir insbesondere dem Landratsamt des Kreises Görlitz und hier vor allem der Ausländerbeauftragten des Landkreises Frau Olga Schmidt sowie der Leiterin des Sachgebietes Integration Frau Tatjana Eckert. Darüber hinaus stehen wir gegenüber der Volkshochschule Görlitz und ihrer Fachbereichsleiterin Christiane Schmidt sowie dem Katholische Erwachsenenbildung in Hessen e.V. und dem Studienleiter für interreligiöse Bildung im Diözesanbildungswerk Limburg Dr. Frank van der Velden als wichtigen Kooperationspartner*innen und Unterstützer*innen in der Schuld.        

Unser Projekt hat sich als Startpunkt einer für uns hoch relevanten Befassung mit und Debatte über den Zusammenhang von Migration, Religion und Integration verstanden, das namentlich im Bereich der religiösen, kulturellen und politischen Bildung aufklären, hier tätige Akteure vernetzen und Weiterbildungsformate pilothaft entwickeln wollte. Wir hoffen, dass uns das wenigstens zum Teil gelungen ist und sehen selbstverständlich den Bedarf, in diesem Feld weiterzuarbeiten und nachhaltige Formate zu verankern. Den Bereich der schulischen Bildung mussten wir aus Ressourcen- und Zeitgründen aussparen, obwohl uns bewusst ist, wie wichtig hier Bildungsangebote, Wissensvermittlung und die Öffnung von Erfahrungsräumen sind.

Obwohl wir wissen, wie schwierig es sein kann, "religiös unmusikalische Menschen" - so beschrieb vor 100 Jahren Max Weber sich selbst als religionsfernes Individuum - oder gar atheistisch orientierte Bevölkerungsgruppen für die eigentümlichen Weltwahrnehmungen, Sinnstiftungen und Gefühlsleben, aber auch solidarischen Potentiale Gläubiger und ihrer Gemeinschaften zu öffnen und sie für ein aktives Erkennen und gemeinsames Handeln zu gewinnen, bleibt eben dies eine zentrale Aufgabe in multikulturellen und multireligiösen Einwanderungsgesellschaften, wie wir auch in der Oberlausitz eine sind - und in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter sein müssen.


Dabei - und das ist zu betonen - stellen religiöse Aufklärung und die Vermittlung religiöser Weltanschauungen und Lebensführungen, wie wir sie in diesem Projekt vorgeschlagen und selbst modellhaft erprobt haben, keineswegs Missionierungsversuche dar. Vielmehr ging und geht es uns um die wechselseitigen und daher auch: religiösen Potentiale für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben von Gläubigen und religiös Ungebundenen. Nur wenn wir uns wechselseitig zuhören, miteinander reden, uns als jeweils Andere tolerieren und politisch und gesellschaftlich Gleiche anerkennen, wird es in Zukunft möglich sein, eine offene und zugleich inklusive solidarische Gesellschaft in Deutschland und Europa zu leben.

Vorwort der Projektdokumentation von Prof. Dr. phil. habil. Raj Kollmorgen

Foto: Prof. Dr. phil. habil. Raj Kollmorgen
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Prof. Dr. phil. habil.
Raj Kollmorgen
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