20. Mai 2019

"Machen wir es doch wie beim Dorffest"

Warum Löbauer die Liebe pflegen und Zittauer viel stolzer sein sollten, das erklären zwei Kulturwissenschaftler, die es wissen müssen. Die SZ-Serie zum Bürgerentscheid, Teil 3.

Aus Sächsische Zeitung Zittau, 18.05.2019
Von Jana Ulbrich

 

Wäre es wirklich gut für ein Städtchen wie Zittau, sich zur europäischen Kulturhauptstadt aufschwingen zu wollen? Oder eher völlig unrealistisch? Würde die Welt uns belächeln? Wie sollen sich die Zittauer am Wahlsonntag entscheiden? "Unbedingt mit Ja stimmen", sagen die Kulturwissenschaftler Matthias Theodor Vogt und Maik Hosang. Im Gespräch mit der SZ erklären sie auch, warum.

Herr Professor Dr. Vogt, Herr Dr. Hosang, die Zittauer sollen am Wahlsonntag darüber abstimmen, ob sich die Stadt um den europäischen Kulturhauptstadt-Titel bewerben soll. Ist das gut?

Vogt: Das ist großartig! Das ist doch der Idealfall von Demokratie. Jeder hat die Chance, in dieser Frage mitzuentscheiden: Wollen wir das oder wollen wir es nicht. 

Und sollten die Zittauer das aus Ihrer Sicht wollen?

Hosang: Unbedingt! Es wäre eine große Chance für die ganze Region, vor allem auch für das Selbstbewusstsein und den Stolz auf uns selber und das, was wir hier zu bieten haben. Wir sind hier wirklich das Herz Europas. Wir haben hier eine so reiche, große und bedeutende Kulturgeschichte und Kulturlandschaft, um die uns eigentlich die ganze Welt beneiden müsste. 

Vogt: In Neapel heißt der Kulturbürgermeister "Bürgermeister für Identitätsfragen". Das trifft genau den Kern: Die Region hat eine so reiche und großartige Geschichte, das ist ein unglaubliches Pfund. Aber seit 1945 ist Zittau mehrheitlich umgeben von einem fremdsprachigen Raum. Dazu kommt das wirtschaftliche Gefälle mit einem Einkommensniveau, das in Polen und Tschechien deutlich geringer ist. Das überschattet den kulturhistorischen Reichtum. Zittau und die Region hätten jetzt eine einmalige Chance, zu Identität und Stolz zurückzufinden.

Matthias Theodor Vogt (links im Bild) ist Professor für Kulturpolitik, Kulturgeschichte und interkulturelle Zusammenarbeit an der Hochschule Zittau/Görlitz, Maik Hosang lehrt Kulturphilosophie, Kunstwissenschaften und kultureller und sozialer Wandel.

Ist das nicht eine Nummer zu groß für Zittau?

Hosang: Sicher, gegen Dresden und Chemnitz, die anderen beiden Bewerberstädte aus Sachsen, sieht das aus wie David gegen Goliath, aber es sieht nur so aus: Auf Größe allein kommt es gar nicht an, eher darauf, wie die Idee getragen wird. Ich bin mir sicher, da hat Zittau das größere Potenzial. Nehmen wir nur mal die Schülerdemos am Freitag. Da waren in Zittau 200 Schüler auf der Straße, in Dresden waren es 400, dabei hätten es statistisch gesehen 5.000 sein müssen.

Vogt: Machen wir es doch einfach wie beim Dorffest: Wenn alle mit anpacken und sich einbringen, dann ist das eine große Chance ohne das große Geld. 

Ohne das große Geld?

Vogt: Ja. Was wir hier brauchen ist nicht in erster Linie Geld, sondern etwas, was diese Apathie der Hoffnungslosigkeit durchbricht, die mir in der Region immer wieder begegnet. Freche, bunte, lustige Ideen zum Beispiel: Ich war kürzlich in Löbau, da erzählte man mir, der Name Löbau kommt aus dem Sorbischen von Liebe. Das wäre es doch: "Löbau - die Stadt der Liebe". Solchen Mut würde ich mir wünschen. Über so ein Werbeplakat würde die ganze Republik sprechen. 

Hosang: Oder ein Slogan wie: Aus Zittau kommt Deutschlands Grundgesetz. Das wissen nämlich die wenigsten. Herrmann Lotze, einer der größten deutschen Philosophen des 19. Jahrhunderts, ist in Zittau aufgewachsen und hat maßgeblich unseren modernen Begriff der "Werte" geprägt.  

Vogt: Oder: "Leben, wo andere Urlaub machen". Wir haben hier eine so großartige Kulturlandschaft. Aber der Stolz auf all diese Dinge wird bei einigen noch überlagert vom Frust über die abgewrackte DDR-Industrie.

Und da kann eine Kulturhauptstadt-Bewerbung helfen?

Hosang: Auf jeden Fall. Die ganze Welt wird auf das Dreiländereck aufmerksam, es werden viele Besucher kommen. Und wir können allen zeigen, welchen geistigen und kulturellen Reichtum wir hier haben.

Vogt: An dieser Stelle würde ich gern noch mal politisch werden: Der größte Feind einer gedeihlichen Entwicklung ist die Dumpfheit. Menschen aus aller Welt einzuladen und auf die Nachbarn im Dreiländereck zuzugehen, dafür wäre die Kulturhauptstadt-Bewerbung ein wunderbarer Rahmen. Auch wenn Zittau am Ende zweiter Sieger werden sollte wie damals Görlitz: Es wird etwas Positives hängenbleiben. Es lohnt sich!

Foto: Prof. Dr. phil. Dr. habil. Matthias Theodor Vogt
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