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15. Dezember 2025

Studieren mit Lebenserfahrung

Warum Soziale Arbeit auch ein Fach für Späteinsteiger ist, weiß Studentin Sabine Bublitz zu berichten.

Immer mehr Menschen entscheiden sich im Laufe ihres Lebens für eine berufliche Neuorientierung – nicht selten jenseits der 30. Zwei Studierende der Hochschule Zittau/Görlitz zeigen, wie ein Studium der Sozialen Arbeit auch nach einer ersten Karriere – sei sie beruflich oder familiär geprägt – ein sinnvoller und erfüllender nächster Schritt sein kann.

Sabine Bublitz im grauen Shirt mit blondem Zopf lächelt in die Kamera.
Foto: Benedikt Teubel Sabine Bublitz

Sabine Bublitz und Andreas Baensch haben sich bewusst für das Studium an der Hochschule entschieden – als persönliche Weiterbildung, als Antwort auf gesellschaftliche Herausforderungen und mit dem Wunsch, sich künftig professionell für andere Menschen einzusetzen.

Andreas Baensch hat sich mit 47 Jahren für ein Studium der Sozialen Arbeit an der HSZG eingeschrieben. Als Ausbilder arbeitete er bereits mit Jugendlichen zusammen und später unterstützte er in einer Grundschule während der Coronazeit ebenfalls pädagogisch. Der Wunsch dies professionell zu tun wuchs und das älteste seiner 4 Kinder bestärkte ihn darin, da sie ebenfalls Soziale Arbeit studiert hatte. 

Der Weg zum Studium von Sabine Bublitz (39) dagegen lief folgendermaßen: Nach ihrem Abitur studierte sie zuerst Germanistik an der Uni Leipzig, bis die Familie "dazwischenkam". Mit mittlerweile 4 Kindern und ihrem Mann, einem evangelischen Pfarrer, kam sie dann in die Oberlausitz. Durch die Empfehlung von Absolventinnen fiel die Entscheidung: Hier in Görlitz klappt es mit Studium und Familie.

Im Interview berichtet Sabine Bublitz von ihrer Entscheidung, mitten im Leben noch einmal ein Studium zu beginnen. 

Was haben Sie vor dem Studium der Sozialen Arbeit beruflich oder familiär gemacht?

Ich habe nach dem Abitur am Gymnasium in Thüringen 2004 direkt angefangen an der Universität Leipzig Lehramt zu studieren. Kurz darauf lernte ich meinen jetzigen Mann kennen und bekam mein erstes Kind. Nach einer Pause von einem Jahr studierte ich in Halle/Saale weiter. Nachdem ich meinen zweiten Sohn bekommen hatte, wollte ich nicht mehr jeden Tag pendeln und entschied mich dafür, in Leipzig weiter Germanistik auf Bachelor zu studieren. Das war ein schöner Plan, der leider nicht ganz zu meinem Leben gepasst hat… Kurz vor dem Bachelor zogen mein Mann, unsere zwei Kinder und ich, schwanger mit dem dritten Kind, in die Oberlausitz. Mein Mann hatte damals sein Theologie-Studium mit dem 2. Kirchlichen Examen abgeschlossen und bekam nun seine erste Stelle zugewiesen: in Bischdorf bei Löbau. 

Die vielfältigen Aufgaben, familiären Pflichten und auch die räumliche Entfernung haben letztlich dazu geführt, dass ich mein Studium damals nicht abschloss. Anfangs haderte ich damit, merkte aber sehr schnell, dass ich meine Fähigkeiten und Talente in der Kirchgemeinde sehr gut einsetzen konnte. Ich übernahm den Kirchenchor, lernte Orgel spielen, wurde Lektorin. Gleichzeitig betreute ich viele Jahre die Kinder- und Jugendarbeit. Und ganz nebenbei bekam ich noch ein viertes Kind. Wir haben die Zeit als Familie sehr genossen. Ich bin heute sehr froh, dass ich mich so entschieden habe, denn so konnte ich wirklich gemeinsam mit meinem Mann den Alltag bestreiten, viel Zeit miteinander verbringen, sowie Neues lernen und mich auf vielfältige Weise ausprobieren. 

Gab es einen konkreten Moment oder Auslöser, der Sie zur Entscheidung gebracht hat: 'Ich studiere jetzt nochmal'?

Ja! Ganz viele! Ich wollte unbedingt einen Berufsabschluss haben, denn ich hatte erlebt, wie es ist, wenn man keinen hat. Dann kann man sein Wissen zwar benutzen, bekommt dafür aber nicht mehr als ein Taschengeld. Ich hatte mir vorgenommen, auf jeden Fall den Übergang aller meiner Kinder auf die weiterführende Schule zu begleiten. Als mein jüngster Sohn es geschafft hatte, habe ich mich beworben. Ich habe immer gern studiert und war mir sicher, dass meine Familie damit klarkommen würde, wenn ich öfter nicht zuhause wäre. Außerdem stieß ich in meinem Alltag als Pfarrfrau immer wieder an Grenzen, die ich gern mit mehr Professionalität „unterfüttert“ hätte. Das waren komplexe Gesprächssituationen oder auch Situationen, in denen es um eine Abgrenzung gegenüber einer hilfsbedürftigen Person ging.

Warum gerade Soziale Arbeit? Was hat Sie an diesem Studiengang besonders angesprochen? Und was an der Hochschule Zittau/Görlitz?

„Soziale Arbeit“ kam in meiner Vorstellung eines Studiums früher eigentlich gar nicht vor. Ich kannte das Berufsfeld schlicht nicht. Heute weiß ich, dass ich in meiner Jugend auch Kontakt zu Sozialarbeitenden hatte – darüber habe ich damals nicht nachgedacht. Ich finde den Beruf sehr vielseitig: einerseits kann man in verschiedensten Bereichen praktisch tätig sein, andererseits hat das Studium auch eine sozialwissenschaftliche Seite, die mich sehr anspricht. Ich habe in meinem Bekanntenkreis mehrere Absolventinnen der HSZG, die mir vom Studiengang berichtet haben und selbst auch bei Studienbeginn schon älter waren. Vor allem die Vereinbarkeit von Studium und Familie wurde gelobt. Der Studienort Görlitz ist von meinem Wohnort gut erreichbar, nach Dresden wäre es mir zu weit gewesen.

Wie haben Sie den Einstieg ins Studium erlebt – gerade im Vergleich zu jüngeren Kommilitoninnen und Kommilitonen?

Mir hat Studieren immer viel Spaß gemacht. Mir liegt das Zuhören, Diskutieren, Lesen von Fachliteratur, Schreiben von Texten. Ich glaube, dass ich mich auch gut organisieren kann. Viel besser, als ich es mit Anfang 20 gekonnt habe. Ich nutze meine Zeit besser – gerade, weil sie knapper ist. Natürlich gibt es auch Einschränkungen: an dem typischen Studierendenleben mit Partys und Kulturveranstaltungen nehme ich nicht teil. Aber das stört mich nicht sehr, das hatte ich ja alles schon… Ich erlebe es als große Bereicherung, mit jungen engagierten Menschen aus dieser Region zu tun zu haben. Ich interessiere mich sehr für ihre Ansichten und Gedanken über Zukunftsperspektiven, die politischen Entwicklungen und vor allem den Umgang mit Vielfalt.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen – und was die größten Bereicherungen?

Die größte Herausforderung ist die Vereinbarkeit meines Familienalltags, meiner Ehrenämter und meiner Freizeit mit den Anforderungen des Studiums. Als bereichernd erlebe ich die Kontakte zu meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen aber auch zu den Dozierenden. Die Beschäftigung mit wissenschaftlicher Literatur und der Austausch darüber gefällt mir sehr. Ich bin dankbar für das Geschenk, dass ich lernen darf. Ich habe Zeit dafür, ich kann es mir leisten, kann dadurch meinen Horizont erweitern und meine Karriere vorantreiben.

Wie erleben Sie den Austausch mit den Lehrenden und der Hochschule allgemein? Fühlen Sie sich gesehen mit Ihrem Lebensweg?

Im Großen und Ganzen ja. Ich konnte vieles absprechen und habe meist Entgegenkommen erlebt. Im letzten Semester hatte ich Schwierigkeiten mit den Prüfungsterminen. Mein Mann hat sehr feste Urlaubsvorgaben und unser Sommerurlaub mit den Kindern war lange (schon vor Beginn des Studiums) geplant. Meine Prüfungen konnte ich nicht einfach im Nachprüfungszeitraum ablegen, da es Gruppenprüfungen waren. Ich hätte mir gewünscht, dass es für solche Fälle ein festgelegtes Verfahren gegeben hätte (ähnlich der Früheinschreibung in die LV). So war ich überall eine Bittstellerin und hatte zusätzlich zu meinen Alltagsbelastungen und der Prüfungsvorbereitung noch mehr organisatorischen Aufwand. Da bedarf es eines Perspektivwechsels. Wer ist der „Normalstudierende“? Am Ende sind mir einzelne sehr engagierte Dozierende entgegengekommen. Dafür möchte ich mich auch an dieser Stelle nochmals bedanken.

Was wünschen Sie sich für die Sichtbarkeit von Menschen, die spät (nochmal) ein Studium beginnen?

Ich wünsche mir eigentlich nur, dass innerhalb der Organisation Hochschule ein solcher Lebensweg nicht als problematisch wahrgenommen, sondern als Regelfall berücksichtigt wird. Es gibt ja auch jüngere Studierende, die zum Beispiel Pflegeaufgaben bei Angehörigen übernehmen. Und dieses Interview ist eine tolle Möglichkeit, darauf aufmerksam zu machen. Gesellschaftlich erlebe ich bisher nur Zustimmung zu meiner Entscheidung.

Welche Ziele oder Träume verbinden Sie mit dem Studienabschluss?

Ich möchte einen Berufsabschluss haben. Das ist das Erste – ich kann mir vorstellen, in vielen verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Im Moment mache ich ein Praktikum beim Sozialdienst im Sächsischen Krankenhaus Großschweidnitz auf einer Suchtaufnahmestation. Das gefällt mir sehr gut. Ich lege mich allerdings nicht fest, wo ich später landen werde. Ich habe viele Interessengebiete. Das Einzige, was ich nicht ausschließlich machen möchte, ist, mit kleinen Kindern zu arbeiten und in der Nachtschicht. Ich könnte mir auch vorstellen im akademischen Bereich zu bleiben. Das hängt natürlich auch vom Studienerfolg ab. Da bin ich aber bisher sehr zufrieden. 

Was würden Sie Menschen sagen, die überlegen, mit 40 oder 50 nochmal zu studieren – aber noch zögern?

Ich würde sagen: Wenn du zielstrebig und fleißig bist, dann trau dich. Ich bin von den jüngeren Studierenden sofort anerkannt worden. Ich werde nicht gemieden. Gerade im sozialen Bereich sind ja auch Menschen, die Verständnis haben. Ich werde auch oft um Rat gefragt oder um Einschätzungen aus meiner Perspektive gebeten. Anfänglich hatte ich Sorge, dass ich mit bestimmten technischen Neuerungen nicht mithalten kann. Das hat sich als Fehleinschätzung herausgestellt. Im Gegenteil, ich komme sehr gut klar. Es ist natürlich auch eine finanzielle Frage. Ich bin in einer äußerst privilegierten Position, ich brauche keine Unterstützung durch BaföG und Co. Aber letztendlich kann man durch ein Hochschulstudium auch die Voraussetzungen schaffen, um später in einer besser bezahlten Stellung mit mehr Gestaltungsspielräumen und Verantwortung zu arbeiten. Ich werde jeden Tag großartig von meinem Mann unterstützt. Er beteiligt sich ohne Abstriche am Familienleben. So etwas muss man unbedingt vorher besprechen. Die Hochschule Zittau/Görlitz ist auf jeden Fall ein Ort, an dem jede und jeder willkommen ist – egal wie alt. 

Foto: Prof. Dr. phil. Mandy Schulze
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