03. Mai 2016

Rückblick: Vortragsabend „Wir und die Anderen"

Audiomitschnitt der Veranstaltung zum Thema "Migration und Integration in Deutschland und Sachsen" ist jetzt online.

Am 13. April 2016 fand am Abend eine Veranstaltung des Forschungsschwerpunktes „Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft“ statt, die mit zwei wissenschaftlichen Vorträgen die Fluchtmigration der letzten Monate mit ihren Auswirkungen auf das öffentliche Meinungsbild insbesondere in Sachsen thematisierte. Der Einladung waren mehr als 180 Interessierte – Studierende und Mitarbeiter sowie Einwohner der Stadt– in den großen Hörsaal des Peter-Dierich-Hauses auf dem Zittauer Campus gefolgt.

Nach den Begrüßungsworten des Rektors, Professor Dr. Friedrich Albrecht, sprach zunächst der Gastreferent von der TU Dresden, Professor Dr. Werner Patzelt. Die Überschrift seines Beitrages lautete: "Wir und die Neuen. Die besonderen Erfahrungen und Vorstellungswelten (Ost-)Deutscher“. Darin fasste er die für viele Anwesenden noch gut in Erinnerung befindlichen Veränderungsprozesse der letzten 25 Jahre zusammen, in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Auf diese Prozesse, die gerade in Bezug auf den demografischen Wandel und seine Folgen noch nicht beendet sind, kommen weitere Herausforderungen durch die Fluchtmigration der letzten Monate hinzu. All dies verursacht Unsicherheiten über die mittel –und langfristigen Auswirkungen. Berührungsängste mit „den Neuen“ könnten daher rühren, dass es zu DDR-Zeiten keinen intensiven Kontakt mit ausländischen Bewohnern gegeben hat. Professor Patzelt sprach sich in seinem Beitrag gerade für einen öffentlichen Austausch und eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik aus: „Demokratie hält so etwas aus.“ Es sollte nicht um ein bedingungsloses Nachfolgen der einen oder anderen Richtung oder Meinung gehen, sondern um ein eigenständiges Nachdenken, auch über die Hintergründe für gegensätzliche Positionen. Professor Patzelt betonte dabei, dass auch Politiker und Journalisten in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen bezüglich angenommener oder tatsächlicher Erwartungshaltungen in der Öffentlichkeit. Einen Grund für die deutliche Resonanz der AfD bei den letzten Wahlen sieht der Politikwissenschaftler in der stärkeren Hinwendung der CDU zur Mitte. Rechtskonservative Positionen, die bisher von der christlichen Volkspartei vertreten worden waren, wurden aufgegeben und haben damit Raum für eine andere Partei gemacht, die als Wahl-Partei attraktiver als die NPD ist. Gleichzeitig zeigten die Wahlerfolge der AfD, dass es sich dabei um kein reines Ost-Phänomen handelt.

Professor Dr. Raj Kollmorgen von der Fakultät Sozialwissenschaften sprach anschließend zu der Frage „Rechtspopulismus und Flüchtlingsfeindlichkeit: Warum gerade in Sachsen?“. Zunächst gab er eine definitorische Unterscheidung zwischen Populismus und Extremismus und anschließend einige statistische Belege für ein erhöhtes Auftreten fremdenfeindlich begründeter Straftaten und für eine verbreitetere Akzeptanz fremdenfeindlicher Argumente in Sachsen als in den anderen Bundesländern. Eine Begründung sieht er dabei in der Verharmlosung der rechtsextremen Akteure durch die Staatsregierung bereits seit den 1990er Jahren. Andererseits können Wahlerfolge mit absoluten Mehrheiten die regierende CDU allzu sehr in Sicherheit gewogen haben. In einem zweiten Teil ging Professor Kollmorgen auch auf Einflüsse der langfristig gewachsenen Mentalitäten in Sachsen ein. So gibt es scheinbar immer noch einen Hang zu starken Herrschaftsfiguren und eine Verklärung der alten Monarchie, wie die Bezeichnung „König Kurt“ für den ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach 1990, Kurt Biedenkopf, zeige. Für wichtig hält er auch die insbesondere seit dem 18. Jahrhundert gemachten, teil kriegerischen Erfahrungen mit fremden Mächten innerhalb und außerhalb Deutschlands, wobei Sachsen regelmäßig auf Seiten der Verlierer stand (wie in den Napoleonischen Kriegen). Daraus erkläre sich die stärkere Hinwendung auf wirtschaftlichen Wohlstand und Kultur. Dies wurde und wird verbunden mit einem intensiven Heimatbewusstsein. Gerade die Angst vor Bedrohungen durch Fremde, vor Heimat- und Kulturverlust sowie  wiederholtem wirtschaftlichen Niedergang bringt den Vertretern des Rechtspopulismus und -extremismus in Sachsen so eine große Anhängerschaft, oft auch aus der Mitte der Gesellschaft.

Nach diesen beiden Vorträgen entspann sich eine intensive Diskussion unter den Teilnehmern. Einige der Fragen beschäftigten sich mit dem Problem der persönlichen Informationsarbeit, mit Vor- und Nachteilen eines Stopps des deutschen Rüstungsexports und mit Anregungen für einen direkten Positionsaustausch zwischen Rechts- und Linkspopulisten.

So hat die Informationsveranstaltung des Forschungsschwerpunktes eines seiner Hauptziele erreicht, den Austausch zwischen Wissenschaft und Bevölkerung, zwischen Jung und Alt und zwischen verschiedenen politischen Ansichten zu befördern und damit einen direkten Beitrag zu gelebter demokratischer Streitkultur zu liefern.

 

Die Vorträge können als Audiobeiträge nachgehört werden: mediathek.hszg.de

 

Text: Cornelia Müller

Foto: Mag. Art. Cornelia Müller
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